Nachbarschaftsstreit auf hohem Niveau

Irrungen und Wirrungen zwischen dem Jeverland und Ostfriesland gab es bereits im 14. Jahrhundert
Sonderlich grün waren sich Jeverländer und Harlingerländer nie. Doch eine Gilde will diese Animositäten sogar fördern.

Die früheren Häuptlinge verfolgten eine expansive Politik. Wechselseitig versuchten sie, ihre Machtbereiche ‚zu vergrößern.
VON WOLFGANG KOPPEN

HARLINGERLAND – Ein wenig erinnert sie schon an die Fabel von dem Fisch und dem Vogel, die frühere Nachbarschaft zwischen dem Jeverland und Ostfriesland. Also, Fisch und Vogel waren sich (zumindest zeitweise) in Liebe äußerst zugetan, konnten sich letztendlich aber nicht entscheiden. wo sie ihr Nest bauen sollten – auf einem Baum oder im Wasser.

Auch wenn der Streit um die Nutzungsrechte der Harlebucht im 17. Jahrhundert sicherlich zu den Höhepunkten der Streitkultur zwischen Jeverländern und Ostfriesen gehörte, so richtig Grün waren die beiden Nachbarn sich aber bereits in den Jahrhunderten zuvor nicht. Die Liste der Kriege. Streitigkeiten und Scharmützel ist lang.

Die politische Struktur Ostfrieslands wurde von der Mitte
des 14. Jahrhunderts an von sogenannten Häuptlingen geprägt, die eigene Herrschaften (räumlich begrenzte Machtgebiete) gründeten. Zu den ersten bekannten Häuptlingen zählte zu dieser Zeit auf heute friesischer Seite Fredo. Der Wangerländer hatte in Jever eine Burg errichtet. wurde später aber von Edo Wiemken abgelöst. Im Brookmerland. der Gegend zwischen Aurich und Norden, herrschte seit 1350 Keno tom Brok als Häuptling. 1376 starb Keno, ihm folgte als Regent Sohn Ocko.Waren die Landesgemeinden vor Aufkommen der Häuptlinge eher defensiv ausgerichtet, so machten die ersten Häuptlinge eine expansive Politik, wechselseitig wurde versucht, den eigenen Machtbereich durch Krieg oder Einheirat zu vergrößern.

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FOTOS: SCHLOSSMUSEUM JEVER

Edzard der Große, Graf von Ostfriesland, betrieb eine konsequente Expansionspolitik, die das Haus Cirksena zu großer Macht führte. Maria von Jever, letzte Regentin des Jeverlandes, hebelte den Versuch Graf Edzards aus, das Jeverland in seinen Machtbereich zu übernehmen.

Dabei entwickelte die Häuptlingsfamilie tom Brok eine rasante Geschwindigkeit. Aber im Jahr 1389 schmiedeten die Häuptlingsfamilien Abdena und Folkmar Allena aus der Region um Emden ein großräumiges Bündnis gegen Ocko. Während der Belagerung von Aurich starb Ocko. aber ein daraufhin von Edo Wiemken initiierter Handstreich misslang.

Große Bedeutung im politischen Ränkelspiel der damaligen Zeit hatte auch die Häuptlingsfamilie Cirksena, allen voran Enno Cirksena von Greetsiel. der sich das damalige Emanzipationsstreben der bäuerlichen Bevölkerung zu Nutze machte. Die zweite Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde überwiegend vom Machtausbau der Cirksena geprägt, was so selbstbewussten Herrschern
wie Edo Wiernken 11. und auch dem Grafen von Oldenbur nicht gefiel. Es kam zu einem Zwist zwischen den Cirksena und Oldenburg, derim Oktober 1486 durch einen Vertrag vorerst beendet wurde.

Aber der Friede, will man ihn so nennen. dauerte nicht lange: Bereits 1492 suchten Edo Wiernken II. von Jeverund Hero Ornken. der Häuptling des Harlingerlandes, Schutz beim Bischof von Münster und bei der Hansestadt Hamburg. Edzard, Sohn von Graf Ulrich I. Cirkse na, nahm dieses Bündnis drei Jahre später zum Anlass für einen Präventivschlag gegen Jever – mit einer gefälschten Urkunde hatte er bei König Maximilian die Belehnung mit Jever erreicht. Aber dieser und andere Schläge gegen Jever und das Harlingerland misslangen.

Erneut in Erscheinung trat Edzard dann im Juni 1517. Er eroberte die Friedeburg von den Welfen und Oldenburgern zurück und stand schließlich vor Jever. Die Herrschaft dort stand nach dem Aussterben der männlichen Nachkommen und nachdem die Junker von Esens bereits erfolglos versucht hatten.
Burg und Herrschaft an sich zu reißen, ohne rechte Führung da. Mit Heiratsversprechen seiner Söhne gegen über den jeverschen Erbtöchtern versuchte Edzard. das Gebiet für sich zu gewinnen. Der Versuch gelang – am 26. Oktober 1517 verpflichteten die Jeveraner sich vertraglich zur Unterstützung des Hauses Cirksena vor allem gegen die Oldenburger. Zwischen 1524 und seinem Tode 1528 versuchte Edzard auch das Harlingerland seinem Herrschaftsgebiet einzuverlei ben und den Junker Balthasar,
den Häuptlingvon Esens, in die Knie zu zwingen. Dies gelang zwar 1530, aber mit der erfolgreichen Schlacht bei Jemgum
1533 gelang es dem Junker als Lehnsmann des Grafen von Geldern, seine Abhängigkeit von den Cirksena wieder abzu schütteln.

Letztendlich versagten die Cirksena aber auch gegen Jever: 1527 besetzten Edzards Söhne Enno 11. und Johann die Burg Jever und einigten sich zwei Jahre später mit GrafAnton von Oldenburg auch über eine Auf teilung des Jeverlandes- aber diese Rechnung war ohne die drei Töchter von Edo Wiernken dem Jüngeren gemacht. Maria von Jever suchte Zuflucht beim damals mächtigen Burgund und begab sich 1532 in ein Lehnsverhältnis zum Herzog von Brabant. Im Herbst des Jahres belagerte Enno zwar Jever, aber Jever konnte seine Selbstständigkeit dank des politischen Gewichts Burgunds wahren. Nach dem kinderlosen Tode von Maria fiel das Jeverland 1575 kraft Testament an die Grafen von Oldenburg.
Edzard I. starb 1528. Zu dieser Zeit hatten die Cirksena die Grenzen ihrer realpolitischen Möglichkeiten erfahren. Und damit waren die Grenzen Ostfrieslands, so wie wir sie heute noch kennen, abgesteckt. Lediglich Enno 111. konnte im Berumer Vergleich von 1600 noch das Harlingerland dem Machtbereich Ostfrieslands hinzufü gen.